Ein typischer Tag in einer Craft-Brauerei in der Westschweiz

„Verkosten Sie den ganzen Tag Bier?“ Diese Frage hören wir mindestens dreimal pro Woche. Wenn es doch nur so einfach wäre! Hinter unseren Renens-Tanks verbirgt sich eine viel komplexere und spannendere Realität. Eine technische Symphonie, bei der jede Note zählt, bei der Intuition mit Wissenschaft im Dialog steht und bei der der Mensch der Dirigent dieser täglichen Alchemie bleibt.
Willkommen in der gemütlichen Atmosphäre unserer rund um die Uhr geöffneten Brauerei, wo Ihre Lieblingsbiere entstehen und die Tradition der Romandie mit handwerklicher Innovation verbindet.
Wenn die Morgendämmerung unsere Gärtanker weckt (5–12 Uhr)
Das erste Murmeln aus unseren Bottichen
Bei uns klingelt der Wecker selten um 5 Uhr morgens, aber unsere Fermenter schlafen nie. Diese Riesen aus Edelstahl flüstern ununterbrochen ihre Geheimnisse, und unsere erste Mission ist es, ihre verschlüsselte Sprache zu entschlüsseln.
Gärdiagramme ähneln Partituren. Temperaturkurven, pH-Wert-Veränderungen, Mostdichte … jedes Datenelement erzählt eine Geschichte. Diese morgendliche Messung bestimmt den Ablauf des gesamten Tages. Ein unerwarteter Anstieg, eine verdächtige Stagnation – und unser Zeitplan gerät durcheinander.
Wir entnehmen vorsichtig einige Proben unseres gärenden Zepp . Dieses Craft-Lager erfordert sorgfältige Überwachung: Seine untergärige, kapriziösere Gärung als bei Ales hält uns wochenlang in Atem. Jeder Schluck offenbart die subtile Entwicklung seiner floralen Aromen, die Signatur des edlen Hopfens, für den es bekannt ist.
Hier kommt die Intuition des Brauers voll zum Tragen. Jenseits der Zahlen ist es diese instinktive Verbindung zu unseren Kreationen, die unsere Entscheidungen leitet. Ein leicht anderer Geschmack, eine sich entwickelnde Textur … unser Gaumen wird zu unserem wertvollsten Messinstrument.
Das technische Ballett des frühen Morgens
Das Schroten des Malzes hallt wie ein Industrietrommelschlag durch die Brauerei. Dieses vertraute Geräusch markiert offiziell den Beginn unseres Betriebs. Wir kontrollieren die Parameter unseres Brauwassers – pH-Wert, Mineralgehalt, Temperatur – akribisch, denn es macht über 90 % unserer Biere aus.
Die Zubereitung des Gebräus erfordert die Präzision eines Schweizer Uhrmachers. Jedes Gramm Malz zählt, jedes Grad Temperatur beeinflusst das Endergebnis. Diese Akribie ist keine Manie, sondern eine Garantie dafür, dass unsere Rezepte Sud für Sud originalgetreu reproduziert werden.
Diese morgendlichen Rituale prägen unsere Handwerkskunst. Im Gegensatz zu Industriegiganten, die jeden Schritt automatisieren, bewahren wir diese menschliche Dimension in jeder Geste. Dieser Ansatz unterscheidet unsere Handwerksphilosophie grundlegend von industrieller Standardisierung.
Die Spannung des französischsprachigen Nachmittags (12–18 Uhr)
Mit den Bieren jonglieren wie ein Dirigent
Am Nachmittag herrscht in unserer Brauerei reges Treiben. Drei, manchmal vier Sude werden gleichzeitig gebraut, jeder in einem anderen Stadium. Hier wird gemaischt, dort gekocht, weiter abgekühlt … unser Team navigiert mit perfekt eingespielter Choreografie zwischen den Tanks.
Entscheidungen werden in rasendem Tempo getroffen. Ein Maischeprozess, der sich hinzieht, die Hopfengabe, die anhand der Alphasäurenanalyse angepasst werden muss … Jede Entscheidung wirkt sich direkt auf das endgültige Geschmacksprofil aus. Der Adrenalinschub dieser Momente erinnert uns daran, warum wir diesen anspruchsvollen, aber spannenden Beruf gewählt haben.
Unser Ambuscade in voller Produktion veranschaulicht diese Intensität perfekt. Dieses IPA erfordert perfektes Timing für die Hopfenzugabe. Zu früh, und wir verlieren seine Zitrusaromen. Zu spät, und Bitterkeit überwältigt seine feine Balance. Die Anpassungen folgen aufeinander wie ein F1-Fahrer durch die Kurven von Monaco.
Momente der Wahrheit, die den Charakter formen
Das Umfüllen ist für uns der stressigste Moment. Mehrere hundert Liter Most zwischen Tanks zu bewegen, ohne dass es zu Verunreinigungen oder Oxidation kommt, ist eine Kampfkunst. Eine falsche Bewegung, eine lose Verbindung, und stundenlange Arbeit kann sich in Rauch auflösen.
Das Hopfenstopfen erfordert die Präzision eines Parfümeurs. Diese flüchtigen ätherischen Öle lassen keine Vermutungen zu. Wir wiegen, messen und passen die Hopfenmenge anhand der Analysen jeder einzelnen Charge an. Dieser Schritt bestimmt die aromatische Intensität, die das Markenzeichen unserer Kreationen ist.
Unsere mikrobiologischen Kontrollen enthüllen eine faszinierende unsichtbare Welt. Unter dem Mikroskop beobachten wir die Aktivität unserer Hefen und erkennen potenzielle Eindringlinge. Diese ständige Wachsamkeit schützt unsere Biere vor Verunreinigungen, die wochenlange Arbeit zunichtemachen könnten. In diesen Momenten entfaltet sich die Authentizität unseres handwerklichen Ansatzes , fernab industrieller Abkürzungen.
Abendrituale und Wissensvermittlung (18.00-21.00 Uhr)
Hygienewahn vermutet
Sauberkeit spielt in unserem Alltag eine zentrale Rolle. Diese unverhohlene „Manie“ garantiert die einwandfreie Qualität unserer Produkte. Jede Oberfläche, jedes Rohr, jedes Ventil wird einem strengen Desinfektionsprotokoll unterzogen. Craft-Biere benötigen diese absolute Sorgfalt, um ihr volles Potenzial unverfälscht zu entfalten.
Die Vorbereitungen für den nächsten Tag beginnen am späten Nachmittag . Wir planen Transfers, bereiten Zutaten vor und überprüfen die Ausrüstung. Diese Vorfreude vermeidet unangenehme Überraschungen und ermöglicht es uns, unsere Produktionsrate aufrechtzuerhalten.
Die finale Verkostung unseres Double Oat offenbart am Ende des Tages seine ganze Komplexität. Dieses Double Oat IPA entfaltet nach mehreren Stunden Extraktion seine tropischen Aromen von Mango und Passionsfrucht. Jede Verkostung bestätigt die positive Entwicklung dieses anspruchsvollen Gebräus.
Die menschliche Seele hinter den Romandie-Fässern
Pikante Anekdoten prägen unseren Alltag. Der Tag, an dem unsere Kühlung mitten in einer Hitzewelle ausfiel und wir zu Feuerwehrleuten mit Eisbeuteln wurden. Oder das Mal, als uns ein defekter Sensor bei einem Testgebräu ein völlig unerwartetes neues Geschmacksprofil offenbarte.
Diese unvorhergesehenen Herausforderungen zwingen uns regelmäßig aus unserer Komfortzone. Sie prägen die Anpassungsfähigkeit, die den Handwerker vom Industriellen unterscheidet. Angesichts des Unerwarteten improvisieren wir, wir kreieren und finden Lösungen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln.
Dieses Braugefühl kann man in keiner Schule lernen. Es entwickelt sich durch den täglichen Kontakt mit den Bottichen, durch die sorgfältige Beobachtung der Reaktionen und durch aufmerksames Zuhören unserer Gärtanks. Es ist diese menschliche Dimension, die die Brau-Renaissance in der Westschweiz befeuert und unser handwerkliches Erbe bewahrt.
Die Weitergabe unserer Werte an die nächste Generation ist eine unserer motivierendsten Herausforderungen. Zukünftige Generationen von Brauern ausbilden, unsere Leidenschaft teilen und unsere Techniken weitergeben … Diese Mission geht weit über die bloße Bierherstellung hinaus.
Wenn die Bottiche einschlafen, geht die Leidenschaft weiter
Unsere Tage enden selten zu einer festgelegten Zeit. Die Gärbehälter setzen ihre stille Arbeit fort, unsere Hefen ihre Alchemie, und wir bleiben per Fernzugriff verbunden, um kritische Parameter zu überwachen. Diese Leidenschaft hört nie wirklich auf.
Hinter jedem Schluck unserer Kreationen stehen diese täglichen Gesten, diese ständige Aufmerksamkeit, dieses fortwährende Streben nach Exzellenz. Wir verkosten nicht den ganzen Tag Bier, sondern leben jeden Moment, damit er sich von seiner besten Seite zeigt.
Diese tägliche Authentizität prägt die Identität unserer Schweizer Craft-Bewegung. Im Gegensatz zu den Industriegiganten pflegen wir diesen menschlichen Ansatz, diese direkte Verbindung zwischen dem Brauer und seiner Kreation. Das ist es, was das Herz unseres Schweizer Brau-Ökosystems schlagen lässt und die Renaissance befeuert, die wir seit einem Jahrzehnt erleben.
Wenn Sie also das nächste Mal eine unserer Kreationen probieren, denken Sie an diese intensiven Tage, die Leidenschaft unserer Teams und die präzisen Gesten, die vier einfache Zutaten in einzigartige Geschmackserlebnisse verwandeln. Und wenn Sie diese faszinierenden Einblicke hinter die Kulissen erleben möchten, besuchen Sie unsere Brauerei in Renens. Wir freuen uns, dieses tägliche Brauabenteuer mit Ihnen zu teilen.
Prost 🍻